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Das bin ich – ein beschriebenes Blatt

1967 geboren im Tal der Ahnungslosen, wo sich höchstens Herr Fuchs und Frau Elster gute Nacht sagten. Denn das Westfernsehen reichte nicht bis in diese Gegend. Pirna, meine Geburtsstadt und Eingangstor zur Sächsischen Schweiz, war einfach zu abgelegen. Doch nicht alles mitbekommen zu haben, kam mir nicht ungelegen, denn es ließ mich lange in meiner heilen Welt weiterleben.

 

Schon in den frühen Schuljahren während der Pausen nahm ich statt der Brotbüchse lieber Stift und Papier zur Hand, kritzelte erste Gedichte darauf, in denen Jäger, Tiere und auch der Frühling eine Verbindung eingingen, die ich in der selbstbetitelten Dichtermappe abheftete. Damals beschloss ich, später einmal Schriftstellerin zu werden. Doch ich hatte das Vorhaben ohne meinen Vater ersonnen, den ganz andere Pläne umtrieben. Uhrmacherin sollte ich werden und das elterliche Geschäft in vierter Generation übernehmen. Bis es soweit war, las ich alles, was Bibliothek, Buchgeschäfte und heimische Bücherschränke boten. Inspiriert von Goethe und im Besonderen von Mark Twain, mit dem ich den Fluss der Sprache bereiste und zu Abenteuern aufbrach, die meine Fantasie beflügelten. Aber auch die Arzt- und Liebesromane aus dem Westen verschlang ich, die - eingeschmuggelt über geheime Boten und von Nachbarin zu Nachbarin weitergereicht - zu meiner Oma gelangten. Schließlich wurde ich in der Uhrenstadt Glashütte zur Uhrmacherin ausgebildet. Zur Geschäftsübernahme kam es glücklicherweise nicht mehr, denn Gyula Horn, Michail Gorbatschow und vor allem wir DDR-Bürger trieben die Wende voran. Ich durchtrennte drei ungarische Stacheldrähte und entkam somit dem Familienplan. Doch wenn ich auch weit gekommen war, landete ich zunächst wieder in einem Familienbetrieb als Uhrmacherin. Man sucht sich ja gern, was man kennt.

 

Meine Idee vom Schreiben hatte ich zwar nicht vergessen, aber unter dem Berg der Alltagsanforderungen begraben. Es vergingen etliche Jahre, in denen ich einige hundert Armbanduhren reparierte. Das Gefühl etwas anderes machen zu wollen, bohrte, drängte und fragte: Wo lang? Während ich drei wunderbare Töchter bekam und der Uhrmacherin meines Vaters endgültig Tschüssi sagte, schaufelte ich in winzigen Etappen Stück um Stück meines Traumes frei, befreite ihn von alten verstaubten Glaubenssätzen und polierte ihn mit neu gewonnenen Einsichten. In Schreibwerkstätten knüpfte ich an mein kindliches Hobby von einst an, erlangte Klarheit und näherte mich meinem Wunsch, indem ich am Institut für Kreatives Schreiben Berlin eine Ausbildung zur Poesiepädagogin machte.

 

Nun bin ich zwar keine Schriftstellerin, aber wer weiß...

Seitdem leite ich Kurse im Kreativen- und Autobiografischen Schreiben. Meine Freude am Umgang mit Menschen, die ich schon früh im Familienbetrieb entdeckt hatte, hilft mir sicherlich dabei, aus Dir die passenden Worte hervorzulocken - und deinem Blatt: garantiert kein unbeschriebenes zu bleiben.

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